Meine Reizdarm-Geschichte – Teil 2

–> Zum ersten Teil meiner Story gelangt ihr hier, wenn ihr ihn verpasst habt.

Kurzer Recap: Wir befinden uns im Jahr 2017, mir ging es extrem schlecht und ich war am absoluten Tiefpunkt meiner Reizdarm-Geschichte angelangt.

Zwei Wochen Intensivtherapie

Aber ich gab nicht auf und recherchierte weiter nach einem Reizdarm-Spezialisten. Auf einen solchen stieß ich glücklicherweise: einen Allgemeinmediziner und Psychiater, der einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Es stellte sich zudem noch heraus, dass dieser nicht weit von mir entfernt war! Ich vereinbarte einen Termin, zu dem mein Papa mich begleitete, der normalerweise immer erstmal eher skeptisch ist. Aber wir kamen beide aus dem Termin und waren einfach nur hellauf begeistert. Für mich stand sofort fest, dass ich mich dort behandeln lassen wollte.

Die Behandlung fand in der Praxisklinik im Dezember 2017 über einen Zeitraum von zwei Wochen statt, in der ich jeden Tag dort war. Es handelte sich um eine multimodale Therapie, die u.a. Physiotherapie, Atemübungen, Meditationen, Bauchmassagen und Gruppensitzungen beinhaltete. An dieser Stelle halte ich mich kurz, da ich über den Aufenthalt auf jeden Fall nochmal einen kompletten Beitrag schreiben möchte. Für mich war es nämlich ein Wendepunkt in meiner Geschichte.

Abgesehen von den schon erwähnten Therapien wurde ich hier außerdem das erste Mal mit der Low-FODMAP-Ernährung bekannt gemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt aß ich immer noch nur Reiswaffeln und Kartoffeln (ca. über ein halbes bis dreiviertel Jahr). Ich begann also nun mit der Low FODMAP-Diät und konnte es nicht fassen: Das erste Mal seit JAHREN hatte ich wieder normal geformten Stuhlgang!!! Außerdem war mein Blähbauch tatsächlich verschwunden!!! Ich konnte mein Glück nicht fassen, endlich einen Weg der Besserung gefunden zu haben.

Zurück zuhause

Nach den zwei Wochen sollte ich zuhause weitere Lebensmittel wieder in meinen Speiseplan integrieren. Dies gelang mir allerdings nicht gut, da ich mit der Einführung wieder deutlichere Beschwerden bekam, aber kein klares Bild darüber, welche die Lebensmittel waren, die dies auslösten. Um meinen mentalen Zustand zu verbessern und meine Ängste loszuwerden, begann ich eine Hypnosetherapie. Ich war ca. sechs Mal dort, bezahlte viel Geld, konnte mich aber nicht wirklich auf den Therapeuten einlassen und erfuhr keine wirkliche Besserung. Ich muss allerdings dazusagen, dass dies keine explizite Darmhypnose war.

Die Angst- und Panikgefühle, sobald ich das Haus verlassen musste, waren also immer noch da und die Darmbeschwerden kamen in diesen Situationen auch zurück.

Mein kurzes WG-Leben

Im April 2018 ging dann mein Studium weiter. Da ich zuvor in der Ein-Zimmer-Wohnung sehr vereinsamt war, dachte ich mir, es wäre eine kluge Idee, nun stattdessen in eine WG zu ziehen. Gesagt, getan: Ich zog zu zwei anderen Mädels in eine WG mit nur einer Toilette, die man auch nur erreichen konnte, wenn man durch die Küche lief. Was ich mir dabei gedacht habe, kann ich im Nachhinein wirklich nicht verstehen 😀 Wahrscheinlich wollte ich mich krampfhaft meinen Ängsten stellen.

Gleichzeitig sprach ich nochmal mit meiner Hausärztin über weitere Behandlungsmöglichkeiten, da ich immer noch bzw. wieder fast täglich Durchfälle hatte. In dem Arztbrief des Reizdarm-Spezialisten war das erste Mal von der Einnahme von niedrig dosierten Antidepressiva die Rede. Zudem wurde mir auch beim weiteren Versuch, einen Psychotherapeuten zu finden, entgegnet, er wisse nicht, wie er mir helfen könne, und ob ich schon  mal über die Einnahme von Medikamenten nachgedacht hatte.

Ich sprach also meine Hausärztin darauf an, die mir Opipramol verschrieb; ein Mittel, das angstlösend wirkt und für psychosomatische Beschwerden eingesetzt wird. Es ist kein klassisches Antidepressivum, wirkt aber ähnlich. Dieses begann ich einzuschleichen und mit der Einnahme erlebte ich sofort eine deutliche Besserung meiner körperlichen Beschwerden. Dennoch bestimmte der Darm mein Leben und ich vermied es, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, hatte Panik, sobald ich nicht wusste, wo die nächste Toilette ist, und traute mich erst recht nicht, in den Urlaub zu fahren.

Langsam wieder Lebensqualität

Im Juni 2018 kam ich schließlich mit meinem jetzigen Freund zusammen, was mich viel Mut kostete, aber im Nachhinein der absolut richtige Schritt war. Außerdem zog ich aus der WG aus und wieder zurück nach Hause in die Stadt, in der auch mein Freund und meine beste Freundin wohnten. Ich hatte zum Glück nur noch ein- bis zweimal wöchentlich Präsenzveranstaltungen in der Uni, zu denen ich pendeln konnte. Außerdem begann ich im November eine Verhaltenstherapie bei einer neuen Therapeutin, um mich wieder einmal meinen Ängsten zu stellen. Leider war auch diese nicht wirklich langfristig hilfreich, aber dazu an anderer Stelle mehr.

Dennoch ging es mir mental immer besser mit der neuen, glücklichen Beziehung und dem Umzug zurück nach Hause. Ich fuhr sogar das erste Mal wieder in einen Urlaub! Außerdem begann ich Anfang 2019 damit, jeden Tag 10 Minuten mit der App Headspace zu meditieren und begann wieder regelmäßig ca. zweimal pro Woche Sport zu machen. Das Opipramol konnte ich runterdosieren auf zweimal täglich eine halbe Tablette. Auch die Ernährung lief deutlich besser, ich bekam immer mehr Normalität zurück in die Ernährung, aß auch öfters mal wieder Knoblauch und ging auswärts essen. Allerdings hatte ich immer noch ab und an Panikattacken; insgesamt war es aber ein deutlicher Fortschritt.

Go vegan – or don’t?

Anfang 2020 begann ich, mich aus ethischen Gründen vegan zu ernähren. Zudem konnte ich endlich wieder viel Sport machen, ca. 5-6 Mal die Woche ging ich bouldern oder machte Yoga. Im Februar konnte ich mein Bachelorstudium erfolgreich beenden und dachte mir, dass dies ein guter Zeitpunkt war, einen Versuch zu starten, das Opipramol abzusetzen. Ich beginn also damit, es auszuschleichen und setzte es im März komplett ab. Außerdem begann ich im März ein Praktikum in einem neuen Unternehmen.

Meine Darmbeschwerden, die durch die vegane Ernährung und das häufige Essengehen sowieso wieder zugenommen hatten, liefen wieder völlig aus dem Ruder: ich hatte ständigen Stuhldrang, Durchfälle, häufig übelriechende Blähungen. Dazu kam wieder die volle Palette an mentalen Herausforderungen: starkes Unwohlsein, innere Unruhe, Alpträume, Ängste – jegliches Haus-Verlassen führte zu Panik. Ich hatte immer wieder von der positiven Wirkung von Darmhypnose für den Reizdarm gehört, also startete ich einen erneuten Versuch bei einer anderen Hypnotherapeutin, diesmal mit einer speziellen Darmhypnose.

Doch wieder Antidepressiva

Yoga, Meditieren, Arbeiten, Sport, Social Life und dann jeden Tag noch 30 Minuten Zeit nehmen für die Darmhypnose – das wurde mir alles zu viel und da ich keine wirkliche Besserung durch die Hypnose spürte, sondern mich die zusätzlich einzuplanende Zeit eher stresste, hörte ich nach sechs Wochen wieder damit auf. In Rücksprache mit meiner Hausärztin begann ich im Mai wieder mit der Einnahme von Opipramol. Außerdem litt ich unter starker Erschöpfung und Müdigkeit und musste Eisentabletten einnehmen. Mit der Wiedereinnahme des Opipramols besserten sich die psychischen Beschwerden wieder deutlich; und an Tagen, an denen es mir psychisch gut ging, hatte ich auch kaum Probleme mit dem Bauch. Dies war aber sehr stark von meiner mentalen Verfassung abhängig.

Auf eigene Faust begann ich dann im Juni nach der positiven Erfahrung in der Praxisklinik wieder mit einer Low FODMAP-Diät, allerdings führte ich diese nicht so streng durch wie damals. Dadurch wurden die Bauchbeschwerden zwar wieder besser, allerdings konnte ich einfach nicht definieren, was die Schmerzen und Durchfälle auslöste. Trotz Ernährungsumstellung hatte ich immer noch häufig fünf, sechs Mal am Tag Stuhlgang bzw. Durchfall, mein Bauch war ständig aufgebläht und meine Lebensqualität dadurch immer noch ziemlich eingeschränkt. Dazu kam natürlich noch die mentale Belastung durch die Corona-Pandemie, die uns alle zusätzlich belastete und es zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Textes noch immer tut.

Da ich merkte, dass ich durch eine vegane UND Low FODMAP-Ernährung total eingeschränkt war und es sich für mich als nicht alltagstauglich erwies, kehrte ich im Juli zu einer vegetarischen Ernährung zurück.

Alles und nichts

Ich ernährte mich zu diesem Zeitpunkt also „nach Vorschrift“, machte Yoga und Sport, Atemübungen, meditierte jeden Tag, nahm Opipramol und trotzdem hatte ich noch fast jeden Tag Durchfall bzw. weichen Stuhl. Im Prinzip tat ich aus meiner Sicht alles, was mir möglich war, und trotzdem hatte ich eine starke Einschränkung meiner Lebensqualität und war damit ziemlich unglücklich. Ich wollte mich einfach nicht damit zufrieden geben, dass mein restliches Leben jetzt so aussehen würde. Also recherchierte ich nochmals und stieß auf Dr. Martin Storr.

Dieser ist ein sehr bekannter Gastro-Enterologe, der viel auf dem Gebiet Reizdarm forscht. Ich hatte mich insbesondere mit dem Thema Stuhltransplantation befasst. Dies ist ein Verfahren, bei welchem einer Person der Stuhl inklusive aller enthaltenen (gesunden) Bakterien einer Spender:in eingesetzt wird, welches die Darmflora der Person verbessern soll. Die Methode wird in Deutschland aktuell nur in klinischen Studien bei Reizdarmpatient:innen eingesetzt, aber die bisherigen Ergebnisse sind relativ vielversprechend.

Dr. Storr hat seine Praxis in München, was ziemlich weit von mir entfernt ist, allerdings war ich mal wieder an einem Punkt angekommen, an dem ich nicht weiterwusste. Ich hoffte, bei ihm neue Ansätze zur Therapie zu bekommen und machte mich im Oktober auf dem Weg zu ihm in die Praxis.

Neue Erkenntnisse

Dort wurde mir zunächst von einer Stuhltransplantation abgeraten. Zu dem Zeitpunkt war gerade die neue, aktualisierte Reizdarmrichtlinie erschienen, an der auch Dr. Storr mitgewirkt hatte. Er empfahl mir, wie es auch in der Richtlinie angeraten wird, Loperamid täglich einzunehmen, um Routine in meine Stuhlgewohnheiten zu bekommen. Zudem riet er mir dazu, eine professionelle Ernährungsberatung zu Hilfe zu nehmen.

Seitdem nehme ich zusätzlich zum Opipramol eine Tablette Loperamid täglich ein. Dadurch konnte ich meinen Stuhlgang endlich regulieren; ich muss meistens nur ein- oder zweimal täglich auf die Toilette und der Stuhl ist dabei fest und geformt. Außerdem ist mein gesamter Bauch viel ruhiger.

Weiterhin folgte ich seinem Rat, mir eine Ernährungsberatung zu suchen. Dies hatte ich nach der Diagnose der Fructoseintoleranz zwar schon einmal getan, diese war jedoch wieder einmal wenig hilfreich. Der hauptsächliche Rat hieß damals mal wieder „mehr Ballaststoffe“ (und noch ein Danke dafür :D). Diesmal suchte ich jedoch gezielt nach Menschen, die Erfahrung mit der Low FODMAP-Diät hatten und mich da unterstützen konnten.

Die Ernährungsberatung beendete ich nach fünf Sitzungen Mitte 2021. Ich konnte einiges für mich mitnehmen und meine Ernährung bereits wieder etwas breiter gestalten.

Aktueller Stand

Und nun sind wir auch tatsächlich beim Status Quo angekommen.

Wie ihr seht, bin ich noch längst nicht am Ziel. Allerdings ist meine Reise tatsächlich schon ziemlich lang; ich war selbst geschockt, wie lang. Es führt mir aber auch nochmal vor Augen, wie viel ich bereits geschafft habe. Aktuell arbeite ich weiter daran, neue Lebensmittel in meinen Speiseplan aufzunehmen und damit die Vielfalt auf meinem Teller weiter zu erhöhen und meine gesunden Darmbakterien anzufüttern. Auch die Ängste sind immer noch ein Thema, was mich begleitet, jedoch meist nicht mehr in einem solchen Ausmaß wie früher. Ich mache immer noch viel Sport, was mir viel dabei hilft, mein Selbstbewusstsein und auch mein Körpergefühl zu stärken.

Außerdem habe ich mittlerweile Routinen entwickelt, die mir dabei helfen, mich wohlzufühlen.  Abgesehen davon habe ich auch einfach gelernt, meinem Körper zuzuhören und mir Raum zu geben. Ich weiß größtenteils, was mir gut tut und was nicht (was mich nicht davon abhält, auch öfters entgegen meines Wissens zu handeln :D). Nicht zu vernachlässigen ist aber auch, dass ich heute immer noch Medikamente nehme, die mir dabei helfen, meinen Alltag zu bewältigen. Dafür bin ich auch sehr dankbar, da ich eine Zeit lang wirklich dachte, es gibt nichts mehr, was mir noch helfen kann.

Insgesamt bin ich noch lange nicht am Ziel angekommen und arbeite immer weiter an mir. Ich plane, auch noch weitere Tests machen zu lassen. Sobald ich da weitergekommen bin, berichte ich gerne darüber.

 

Ich freue mich sehr, wenn ihr eure Geschichten mit mir teilen wollt! Vielleicht kommt euch ja das ein oder andere bekannt vor, oder ihr habt noch Fragen zu Themen. Schreibt mir gerne per Mail oder hinterlasst einen Kommentar!

 

Solltet ihr gerade erst eure Diagnose erhalten haben oder schon länger damit leben, aber nach neuen Ansätzen suchen, kann ich euch auch stark meine Tipps nach der Diagnose ans Herz legen.

 

Eure Alena

Ein Kommentar bei „Meine Reizdarm-Geschichte – Teil 2“

  1. […] Nun, ich leide an einer chronischen Erkrankung, und das schon recht lange. All die zuvor aufgezählten Attribute sind mir erst zuzuschreiben, seitdem es mir gesundheitlich immer schlechter gegangen ist und ich gemerkt habe, so kann es nicht weitergehen (meine Geschichte findest du hier und hier). […]

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