Nun habe ich mir endlich ein Herz gefasst und den mittlerweile auf eine stattliche Größe angewachsenen schwarzen Ordner mit der Aufschrift „Gesundheit“ aus dem Schrank geholt und neben mir auf der Couch platziert. Auch wenn mir von Anfang an klar war, dass ich meine Geschichte mit dem Reizdarm einmal von Anfang bis zum Status Quo aufschreiben möchte, habe ich mich bisher davor gedrückt. Zu groß war die Sorge, durch das Sich-Wieder-Damit-Beschäftigen würden wieder viele Gedanken hochkommen und ich müsste viele dieser negativen Emotionen nochmals fühlen. Allerdings ist es vielleicht gar nicht schlecht, um sich selbst bewusst zu werden, wie viel man schon geschafft hat. Da ich beim Schreiben merken musste, dass über neun Jahre ein gewaltiger Berg an Erlebnissen zusammengekommen ist, habe ich mich entschieden, den Text in zwei Teile zu splitten. So, und nun viel Spaß beim Lesen!
Wie alles begann…
Meine Geschichte beginnt ungefähr im Jahr 2012. Ich war gerade noch im Teenie-Alter, um die 16 Jahre alt, war auf dem Weg zum Abitur und Führerschein; hatte große Pläne und wenig Ahnung. Ich war seit kurzem mit meinem ersten Freund zusammen, fiel fast jedes Wochenende auf irgendwelchen Partys herum und ernährte mich hauptsächlich von Fast Food und Nutella-Toast. Zu der Zeit kam einiges zusammen; meine Mum hat eine chronische Erkrankung, meine Eltern trennten sich, in meiner Beziehung war ich auch nicht gerade glücklich und dazu noch Abi- und Führerschein-Stress. Ich bin eine sehr perfektionistische Persönlichkeit und setzte mich dementsprechend selbst ziemlich unter Druck, gute Noten zu schreiben und alles auf die Kette zu bekommen.
Magen-Darm-Probleme und einen empfindlichen Bauch hatte ich eigentlich schon immer, machte mir darüber aber kaum Gedanken und empfand dies als normales Ausmaß.
Irgendwann begann es, dass ich sehr häufig aufstoßen musste, zu jeder Tag- und Nachtzeit, was ich kaum oder nur schmerzhaft unterdrücken konnte. Auch das nahm ich so hin, machte mir nichts daraus und machte weiter wie bisher. Dazu gesellte sich eine unergründliche Übelkeit und flaues Gefühl im Magen, was insbesondere morgens sehr schlimm war. Da lag für meine Mum die Vermutung nahe, dass ich psychisch auf die Schule reagiere. Als sie den Verdacht äußerte, verneinte ich aber bestimmt. Ich ging gerne in die Schule, hatte gute Freunde, schrieb gute Noten, wurde nicht gemobbt oder sonstiges. Ich konnte es mir selbst nicht erklären, woher dieses Unwohlsein kam. Die Übelkeit steigerte sich immer weiter und ich hatte einige Tage, an denen ich mich plötzlich wie aus dem Nichts übergeben musste, obwohl ich mich sonst gar nicht krank fühlte.
Die ersten Diagnosen
Zu diesem Zeitpunkt suchten wir das erste Mal einen Arzt auf, um mit ihm darüber zu sprechen. Ich wurde an eine Hautärztin überwiesen, die einen Test auf Nahrungsmittelallergien durchführte. Es stellte sich heraus, dass ich eine Ei-Allergie habe. Gut, dann verzichte ich eben auf Eier, und alles wird wieder supi, dachte ich mir. Gesagt, getan. Währenddessen nahm der private und schulische Stress immer weiter zu. Und natürlich ging es mir statt besser eher schlechter. Nach fast jedem Essen bekam ich so starke krampfartige Schmerzen im oberen Bauch und Rücken, dass ich teilweise weinend am Küchentisch saß. Nach erneutem Arztbesuch wurde der Verdacht auf Gallensteine geäußert, mit dem ich zum Ultraschall geschickt wurde. Der Arzt führte den Ultraschall durch und konnte keine Gallensteine oder sonstige Abnormitäten finden. Ich weiß noch genau, wie ich ihn fragte, ob er sich damit auch wirklich sicher sei, da meine Schmerzen so stark waren.
Mit der Zeit bekam ich auch immer häufiger Probleme mit dem Stuhlgang und dem Darm an sich. Ich hatte häufig Bauchkrämpfe, Durchfall und Verstopfung wechselten sich ab und der Bauch war nach jeder Mahlzeit aufgebläht und schmerzte. Also wieder ab zum Arzt. Diesmal wurde der Verdacht auf eine Candida-Pilzbesiedlung im Darm geäußert, ich sollte jeglichen Zucker in der Ernährung weglassen und bekam Medikamente dagegen verschrieben. Das war für mich als absolute Naschkatze ein Riesenschock und eine schlimme Diagnose. Ich saß auf dem Stuhl im Behandlungsraum und mir stiegen unaufhaltsam die Tränen in die Augen, als ich erfuhr, dass ich keine Nutella mehr essen sollte.
Aber ich zog es durch und strich den Zucker von meiner Ernährungsliste. Ich merkte sofort eine Besserung, zu der Zeit ging es mir auch psychisch sehr gut und ich hatte wieder fast immer normalen Stuhlgang. Leider blieb es nicht dabei, denn als ich die Tabletten gegen den Pilz absetzte, waren die Beschwerden wieder da.
Ersti mit Reizdarm
In der Zwischenzeit hatte ich ein Studium in einer neuen Stadt angefangen und war dort in eine Ein-Zimmer-Wohnung (WG kam für mich nicht in Frage; für mich war klar, dass ich mein eigenes Badezimmer benötigte) gezogen. Der Stress nahm wieder deutlich zu. Ich ernährte mich sehr einseitig, da ich kaum selbst kochen konnte, trank viel Alkohol, aß während dem Netflix-Schauen – Studentenleben eben.
Die Darmbeschwerden ließen nicht lange auf sich warten und kamen wieder, heftiger als zuvor. Ich hatte keinen normalen Stuhlgang mehr, sondern nur noch abwechselnd Durchfall oder Verstopfung. Dazu kam, dass ich häufig so stark aufgebläht war, dass ich aussah, als wäre ich schwanger. Es gab Tage, an denen ich bis zu zwanzig Mal Stuhlgang hatte. Außerdem war ich ständig erkältet und fühlte mich total schlapp, mein Immunsystem war einfach im Keller.
Darunter litt ich natürlich psychisch sehr stark, da ich häufig absagen musste und mich kaum noch vor die Tür traute, in der Angst, keine Toilette in der Nähe zu finden. Die Vorlesungen wurden für mich zur Hölle. Ich nutzte jede Pause, um zur Toilette zu gehen, ging vor, während und nach einer Veranstaltung aufs Klo, immer begleitet von der Angst, dass meine Kommilitonninen die Geräusche hören könnten, die mein Darm dabei von sich gab.
2016 bekam ich dann nach einem erneuten Ultraschall ohne Befund das erste Mal die Diagnose „Reizdarm-Syndrom“ gestellt. Dies wurde vom Gastroenterologen nach der obligatorischen Magen- und Darmspiegelung schließlich bestätigt, zudem hatte ich eine leichte Magenschleimhautentzündung. Gegen diese bekam ich ein Medikament verschrieben, wurde aber sonst völlig alleingelassen mit der Diagnose. Es hieß einfach nur, damit müsse ich jetzt leben und da könne man nicht viel machen. Ich solle mich weniger stressen. (Danke dafür im Nachhinein!)
Es wurde immer schlimmer
Zwei Monate später hatte ich die ersten Panikattacken, bei denen ich schlagartig Durchfälle bekam, Herzrasen und Drehschwindel. Ich landete damit sogar zweimal in der Notaufnahme, wurde aber auch hier jeweils ohne Befund einfach wieder nach Haus geschickt.
Im November 2016 wurde dann ein H2-Atemtest auf Fructose und Lactose durchgeführt, wo ich die Diagnose Fructoseintoleranz bekam. Daraufhin begann ich mit einer fructosearmen Diät. Zugleich waren auch die psychischen Belastungen immer stärker. Außerdem wurde mir Duspatal verschrieben als Medikament gegen den Reizdarm, was bei mir leider gar nicht anschlug.
Im vierten Semester wurden die Beschwerden so schlimm, dass ich keine Uni-Veranstaltung von 90 Minuten mehr durchhielt. Ich hatte solch einen Blähbauch, dass ich keine Jeans mehr tragen konnte. Ich fuhr mit dem Auto zur Uni, obwohl ich nur einen Fußweg von ca. 10 Minuten hatte, damit ich schnellstmöglich nach Hause fahren konnte, sollte ich wieder Durchfall und Schmerzen bekommen. Nach dem Essen konnte ich erstmal mindestens eine Stunde nur Liegen aufgrund des extremen Völlegefühls.
Kurzum: Ich war völlig verzweifelt. Lebensqualität hatte ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich keine mehr. Essen gehen ging aus Angst davor, das Essen nicht zu vertragen, schon lange nicht mehr. Meine Ernährung beschränkte sich nur noch auf Kartoffeln mit Leinöl und Reiswaffeln, da dies die einzigen Lebensmittel waren, die ich noch einigermaßen vertragen konnte. Sport konnte ich auch keinen mehr machen, da ich sofort Schmerzen und Krämpfe bekam, wenn ich nicht sowieso schon welche hatte. Ich vereinsamte immer mehr, da ich andauernd meinen Freundinnen absagen musste, weil es mir „mal wieder“ schlecht ging. Außerdem hatte ich extreme Konzentrations- und Erinnerungsprobleme und „Brain Fog“, also das Gefühl, wie benebelt zu sein und ein bisschen weggetreten, als würde man die Welt um einen herum durch eine Wolke wahrnehmen. Wie ich mein Studium so noch schaffen sollte, war mir ein absolutes Rätsel.
Shutdown
Eines Morgens brach ich einfach zusammen. Ich sollte eigentlich eine Klausur schreiben, ich konnte die Inhalte zu 100 % und wusste, dass ich eine 1-Komma schreiben würde, aber ich schaffte es nicht, das Haus zu verlassen. Ich rief völlig fertig und weinend meinen Papa an, der mich sofort abholte und mit nach Hause nahm.
Nachdem ich eine neue, einfühlsame Hausärztin gefunden hatte, ließ ich mich für ein Semester von der Uni beurlauben und zog zurück nach Hause. Für mich war klar, dass es so nicht weitergehen konnte und ich mich zunächst um meine Gesundheit kümmern musste. Ich begab mich zudem auch auf die Suche nach einer geeigneten Psychotherapeutin, die mich mit meinen Ängsten unterstützen konnte. Leider geriet ich da an eine Therapeutin, die überhaupt kein Verständnis aufbringen konnte, weshalb ich sehr enttäuscht erst einmal resignierte und die weitere Suche auf Eis legte.
Außerdem begann ich 2017 mit Yoga in einer Kundalini-Yoga-Gruppe.
Im November 2017 besuchte ich die Reizdarm-Sprechstunde einer Uniklinik in meiner Nähe und bekam die Diagnose Reizdarm sowie eine soziale Phobie mit Panikattacken. Empfohlen wurde mir die Einnahme von Flohsamenschalen und eine Darmsanierung mit Probiotika. (Auch hierfür ein ironisches Danke im Nachhinein – als hätte ich dies nicht alles bereits versucht!)
Zu diesem Zeitpunkt war ich nur noch ein Schatten meiner selbst. Ich hatte keine Hoffnung mehr, dass sich mein Zustand nochmal bessern würde, da ich alle Tipps bereits beherzigte und es mir trotzdem einfach nur extrem schlecht ging. Ich hatte keine Suizidgedanken oder so, aber eine Perspektive fürs Leben fehlte mir völlig. Meine Gedanken kreisten unaufhörlich um die Frage, wie ich so mein restliches Leben aushalten sollte.
Weiter geht es in Teil 2
… Wie es dann zum erste Wendepunkt in meinem Leben kam, erfahrt ihr im zweiten Teil meiner Geschichte!
Erzählt mir solange gerne von euren Erfahrungen! Kommen euch die Gedanken und Erfahrungen vielleicht bekannt vor? Ich freue mich sehr über jede Nachricht, ob per Mail oder als Kommentar!
Meine Tipps nach der Diagnose findet ihr übrigens hier.
Eure Alena
So spannend! Wie geht’s wohl weiter 😮 Freue mich auf Teil zwei und verrückt, was du bis hierhin schon erlebt hast.. Und irgendwie sehr traurig, dass du das alles durchmachen musstest. 🙁
Vielen Dank für deine Worte und dass du dir Zeit genommen hast, zu lesen 🤗! Ich bin im Nachhinein auch immer noch geschockt darüber, wie manche Ärzte einen da im Stich gelassen haben
[…] Zum ersten Teil meiner Story gelangt ihr hier, wenn ihr ihn verpasst […]